Deutschland hat gewählt. Trotz des erwartet engen Ergebnisses bei der Bundestagswahl hoffe ich auf eine schnelle Regierungsbildung. Denn: Die Herausforderungen für unser Land sind zu groß, als dass wir uns nun eine monatelange Hängepartie in Berlin leisten können. In den nächsten Wochen und Monaten der Regierungsbildung wird darüber entschieden, welchen Kurs Deutschland als Wirtschafts- und Industriestandort einschlägt. Unser Land steht am Scheideweg. Es geht um nichts weniger als um die Bewältigung der großen Fragen unserer Zeit – von Klimaschutz über Digitalisierung und Alterung der Gesellschaft bis zur Sicherung von Wohlstand und Arbeitsplätzen.
Diese Themen sind zu wichtig als dass wir darüber rein abstrakte oder gar ideologische Debatten führen sollten. Allein der Weg zur Klimaneutralität und der digitalen und nachhaltigen Transformation ist eine Jahrhundertaufgabe, die wir mit aller Kraft angehen müssen. Das ist auch für uns als Wirtschaft völlig klar. Als Unternehmer weiß ich aber nur zu gut, dass allein durch schöne Reden und strikte Zielvorgaben und Verbote nichts erreicht ist. Erst ein schlüssiges Gesamtkonzept, klare Umsetzungsstrategien und sorgfältiges Prozessmanagement lassen Visionen zur Wirklichkeit werden.
Auf die Politik übertragen heißt das: Wer die weltweit ambitioniertesten Ziele erreichen will, der muss für deren Umsetzung auch die weltweit wettbewerbsfähigsten Standortbedingungen anbieten. Da ist in Deutschland noch deutlich Luft nach oben! Nicht mit pauschalen Ausstiegsdebatten, sondern nur mit konkreten Einstiegsszenarien können wir unsere wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Ziele erreichen. Ich erwarte, dass die nächste Bundesregierung diese Erkenntnis in praktische Politik umsetzt.
Und da ist noch viel zu tun, der Handlungsbedarf ist offensichtlich. Beispiel Mobilität: Bis 2030 sollen hierzulande etwa 80 Prozent elektrische Autos fahren. Dafür brauchen wir mehr als 1 Million Ladepunkte. Etwa 45.000 davon sind fertig, ab jetzt brauchen wir einen Wochenzuwachs von 2.000. Doch derzeit schaffen wir gerade einmal 300 Ladepunkte. Beispiel Stromnetz: Wenn wir im Jahr 2035 ohne Kohle und Kernenergie auskommen wollen, müssen wir ab sofort pro Jahr 400 Kilometer Stromnetz bauen. Gegenwärtig liegen wir bei rund 200 Kilometern. Beispiel Windräder: Wenn wir den Green Deal der EU hierzulande umsetzen wollen, dann brauchen wir an Land pro Jahr zusätzlich fast 1.200 modernste Windräder. Zurzeit schaffen wir gerade mal 420 Anlagen.
Es liegt so sehr auf der Hand, dass wir in Deutschland sehr viel schneller werden müssen – und zwar überall: Beim Ausbau der digitalen Netze und der Verkehrsinfrastruktur, beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, von Smarten Netzen, von neuen Speichertechnologien und beim Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Das wird nur mit massiven Investitionen und Innovationen zu schaffen sein. Dafür müssen wir jetzt bei Planungs- und Genehmigungsverfahren massiv aufs Tempo drücken und zugleich aufhören, immer zusätzliche Belastungen durch Steuern, Sozialabgaben, Regulierung und Bürokratie für die Unternehmen anzukündigen. Wer soll eigentlich in einem solchen Umfeld noch investieren?
Im Wahlkampf haben wir einen Überbietungswettbewerb über die Verteilung weiterer milliardenschwerer sozialer Wohltaten erlebt, den sich insbesondere die Parteien im linken politischen Spektrum in ihren Wahlprogrammen lieferten. Ich kann die Parteien nur davor warnen, diese Wünsche jetzt als Grundlage für die Sozialpolitik in den beginnenden Sondierungen zu einer neuen Bundesregierung zu machen. Hier droht ein böses Erwachen, zumal die Sozialleistungsquote schon heute fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung in Deutschland beträgt. Und bereits vor der Pandemie sind die Sozialleistungen stärker als die Wirtschaftskraft gestiegen. Eine hochgradig ungesunde Entwicklung, die in Anbetracht der exorbitanten Corona-Lasten und des massiven Investitionsbedarfs eine umso schwerere Hypothek für unser Land ist.
Die nächsten vier Jahre werden darüber entscheiden, ob unser Land insgesamt, unsere Unternehmen hier an ihren Heimatorten und damit die Menschen an ihren Arbeitsplätzen weiterhin eine gute Zukunft haben. Es geht wahrlich nicht um Nebensächlichkeiten, darüber müssen wir uns klar sein!
Hintergrund:
Arndt G. Kirchhoff ist Geschäftsführender Gesellschafter der KIRCHHOFF Gruppe und CEO der KIRCHHOFF Holding GmbH & Co. KG. Zudem ist er Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände NRW (unternehmer nrw) und des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie NRW (METALL NRW).